Heute vor dreißig Jahren, am 23. November 1986, gelang der Grünen Alternative der Einzug ins Parlament: bei der Nationalratswahl wurden 4,82 Prozent der Stimmen erzielt. Somit gab es erstmals acht grüne Abgeordnete.
Gerhard Jordan ließ in seinem Rückblick auf das erste Jahr im Parlament die Ereignisse Revue passieren. Der Artikel erschien 1987 im Band “Die Republik im Fieber”. Dass die Geschichte der Grünen und der grünen Einigung keine einfache war, zeigt sich alleine schon an der Vielzahl an grünen und alternativen Gruppierungen, die in diesem Beitrag vorkommen: von GRAS und VGÖ über GAL und BIP bis ALÖ und HEK…
Die Nationalratswahl am 23. November 1986
Im Jahr 1986 kam es zu größeren Umbrüchen in der österreichischen politischen Landschaft: Freda Meissner-Blau hatte bei der Bundespräsidentschaftswahl am 4. Mai 5,5% der Stimmen erreicht und einen zweiten Wahlgang erzwungen. Dieser brachte dann, begleitet von einer Welle des Antisemitismus und “Mir-san-Mir”-Patriotismus, den folgenschweren Sieg Kurt Waldheims. Es folgten Schlag auf Schlag die Ablöse von Bundeskanzler Sinowatz durch Franz Vranitzky, der Sturz von FPÖ-Chef Steger durch Jörg Haider, die Aufkündigung der SPÖ-FPÖ-Koalition durch Bundeskanzler Vranitzky und die Ankündigung von Neuwahlen für den 23. November 1986. Eine Rechts-Wende fand nicht nur in SPÖ, FPÖ und an der Spitze des Staates statt, sondern sogar in der Amtskirche (Erzbischof Groer, Weihbischof Krenn).
Das Szenario in der österreichischen Grünbewegung im Herbst 1986 stellt sich ungefähr folgendermaßen dar: auf der einen Seite die VGÖ (“Vereinte Grüne Österreichs”), die bei der Nationalratswahl 1983 noch unter Alexander Tollmann 1,93% erreicht hatten, auf der anderen die ALÖ (“Alternative Liste Österreich”, hatte 1983 ebenfalls kandidiert und 1,36% erreicht) bzw. die davon übriggebliebenen Reste, und dazu die noch Hainburg entstandenen neuen Gruppierungen BIP (“Bürgerinitiative Parlament”) und GRAS (“Grün-Alternative Sammlung”). Die BIP umfaßt neben einigen “Promis” wie Günther Nenning, Peter Pilz, Johannes Voggenhuber (Bürgerliste Salzburg) und Werner Vogt auch den Freda Meissner-Blau-Wahlkampfleiter Pius Strobl und den sogenannten “Grazer Flügel” der ALÖ. In der GRAS Wien sammeln sich die “Alternative Liste Wien”, die Wiener BIP und der von Josef Buchner ausgeschlossene Wiener Landesverband der VGÖ.
Exponent/inn/en aller dieser Strömungen versuchen in zahlreichen und oft anstrengenden Sitzungen des sogenannten “Hainburger Einigungskomitees” (HEK), zu einer gemeinsamen Organisationsform zu kommen. Unter dem Druck der Wahlvorverlegung wird schließlich der zeitliche Fahrplan der Einigung über den Haufen geworfen. Um die Ereignisse, die schließlich zur Gründung der Partei “Die Grüne Alternative — Liste Freda Meissner-Blau (GRÜNE)” führten, im Detail zu beschreiben, fehlt hier der Platz.
Ein Konflikt, der zumindest in Wien zu Frustrationen vor allem in engeren Kreis der Alternativszene führte, war die Nicht-Anerkennung des Ergebnisses der Wiener Kandidat/inn/enwahlversammlung vom 4. Oktober: auf der in einem emotional geladenen Klima abgehaltenen Versammlung wird Andrea Komlosy (gegen Freda Meissner-Blau) vor Erica Fischer (gegen Peter Pilz) und Günther Nenning gewählt. In allen anderen Bundesländern (außer Vorarlberg) ist hingegen Freda Meissner-Blau Listenführerin. So kommt es zu Protesten gegen das Ergebnis und den Ablauf der Versammlung (auf der einige Leute ihre Kandidatur zurückgelegt hotten) und zu vergeblichen Versuchen, einen Kompromiß zu finden. Das HEK löst sich auf.
Schließlich organisiert der GRAS-Flügel um Andrea Komlosy und Hannes Hofbauer eine Gegenkandidatur in Wien unter dem Namen “Die Grünalternativen — Demokratische Liste (GAL)” [Bild rechts]. Die GAL wird von der Mehrheit der ALW und der trotzkistischen SOAL (“Sozialistische Alternative”, ehem. GRM) getragen. Der Grünen Alternative schließen sich die BIP (außer Günther Nenning, der auf eine Kandidatur verzichtet), ein kleiner Teil der ALW, die Wiener VGÖ und ein Großteil der “Gewerkschaftlichen Einheit” an. In den Bundesländern gelingt der Grünen Alternative die Einigung der Grün-Kräfte besser: eine Ausnahme bildet Kärnten, wo eine Rechtsabspaltung der VGÖ, die gegen die Slowenenfreundlichkeit der Grünen Alternative ist, unter der Bezeichnung “Kärntner Grüne — VGÖ — VOGA — Unabhängige Gemeinderate” eigenständig kandidiert.
VGÖ Niederösterreich empfiehlt FPÖ
Gegenkandidaturen von Teilen der ALÖ in Niederösterreich und Oberösterreich scheitern an den dafür notwendigen Unterstützungserklärungen. Reste der niederösterreichischen VGÖ empfehlen, bei der Nationalratswahl Haiders FPÖ zu wählen, und der Vorarlberger VGÖ-Landtagsabgeordnete [Manfred] Rünzler, stellt öffentlich fest, daß die Grüne Alternative keine wählbare Partei sei.
Trotz der Spaltung in Wien ist jedoch die Ausgangsposition für die Grüne Alternative bei der Nationalratswahl 1986 nicht die schlechteste: Es ist die erste Nationalratswahl nach den Hainburg-Ereignissen, auch die Tschernobyl-Katastrophe vom April 1986 ist noch in Erinnerung, und wenige Wochen vor der Wahl bestätigt die Verseuchung des Rheins durch den Chemiekonzern Sandoz in Basel die Warnungen der Grünen. Viele Menschen wünschen sich endlich eine Opposition im Parlament, die nicht zu heiklen Fragen wie Abfangjäger, Waffenexporte, Nagymaros, Wackersdorf usw. schweigt. Den Grünen werden auch von den Medien realistische Chancen auf den Einzug ins Parlament eingeräumt (für ein Grundmandat in Wien genügten schließlich 25.340 Stimmen, also knapp 2,8%).
Mit dem behinderten Sozialarbeiter Manfred Srb, der in Wien hinter der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Freda Meissner-Blau und dem als Rüstungsgegner profilierten Peter Pilz kandidiert, und mit dem Vorsitzenden des “Rates der Kärntner Slowenen“, Karel Smolle, der auf Platz 2 der Reststimmenliste für Westösterreich gereiht ist, stehen zwei auch für kritische Linksalternative akzeptable Vertreter von Minderheiten zur Wahl. Die “Große Koalition” zwischen SPÖ und ÖVP nach den Wahlen gilt auch im Bewußtsein der Öffentlichkeit als bereits beschlossene Sache, wodurch der mobilisierende Effekt, durch die Wahl einer der beiden Großparteien die andere von der Macht fernzuhalten, nicht mehr gegeben ist.
Beide Großparteien verzeichnen in allen Bundesländern Verluste, wobei die SPÖ dank des besser ankommenden Kandidaten Franz Vranitzky trotz ihres schlechtesten Ergebnisses seit 20 Jahren weiterhin stärkste Partei vor der ÖVP bleibt. Letztere hat seit Kriegsende überhaupt nur einmal, nämlich 1953, ein noch schlechteres Ergebnis (41,26%) erzielt. Der Vertrauensverlust beider Großparteien innerhalb relativ kurzer Zeit ist beachtlich: hatten SPÖ und ÖVP zusammen im Jahr 1975 noch 93,4% der Wähler hinter sich, so sind es 11 Jahre später nur noch 84,4%.
geringste Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung ist mit 90,46% die geringste aller Nationalratswahlen in der 2. Republik. Die SPÖ-Verluste (bundesweit -4,53% und -10 Mandate) sind am größten in Kärnten (-5,76%), Tirol (-5,65%) und der Steiermark (-5,36%). Die absolute Mehrheit hält sie nur in Wien (52,35%); im Burgenland, in Kärnten, in der Steiermark und in Oberösterreich bleibt sie die relativ stärkste Partei. Die ÖVP (bundesweit -1,93% und -4 Mandate) verliert am meisten in Vorarlberg (-7,25%), Salzburg (-5,16%) und Kärnten (-4,86%). Absolut stärkste Partei bleibt sie in den beiden westlichen Bundesländern Tirol (53,23%) und Vorarlberg (53,06%), relativ stärkste in Niederösterreich und Salzburg.
Die FPÖ (bundesweit +4,75% und +6 Mandate) gewinnt in allen Bundesländern, am höchsten in der Haider-Hochburg Kärnten (+10,20%) und in Salzburg (+7,93%). In diesen beiden Bundesländern (Kärnten 20,92%, Salzburg 15,89%) hat sie auch ihre besten Ergebnisse. Die Differenz zwischen ÖVP und FPÖ ist in Kärnten auf 6,28% geschrumpft. Die “Kärntner Grünen” erreichten übrigens mit 0,29% und 1.059 Stimmen nur etwa ein Dreizehntel (!) der Stimmen der Grünen Alternative (13.699). Die KPÖ gewinnt bundesweit 0,06% und 3.192 Stimmen dazu, am stärksten in Vorarlberg (+0,20%) und Tirol (+0,17%). In Kärnten verliert sie 0,10% und 221 Stimmen. Ihre stärksten Positionen hält die KPÖ in Wien (wo sie trotz eines Verlusts von 275 Stimmen aufgrund der stark gesunkenen Wahlbeteiligung um 0,04% stieg) mit 1,02%, und in der Steiermark mit 0,90%.
Ergebnisse der Grünen
Nun zu den Ergebnissen der Grünen Alternative: Sie erhält 4,82% der Stimmen und 8 Mandate (2 Grundmandate in Wien, je eines in Oberösterreich, der Steiermark und Niederösterreich, und 3 Restmandate in Westösterreich). VGÖ-Generalsekretär Wolfgang Pelikan, der bald darauf die Grüne Alternative verläßt, verfehlt sein Reststimmenmandat in Ostösterreich nur um wenige Dutzend Stimmen (Ironie des Schicksals: diese Stimmen hat wahrscheinlich die FPÖ dank der Wahlempfehlung der niederösterreichischen VGÖ bekommen).
Neben Freda Meissner-Blau, Peter Pilz, Manfred Srb und Karel Smolle ziehen noch Andreas Wabl (AL Steiermark), Josef Buchner (VGÖ Oberösterreich), Herbert Fux (Bürgerliste Salzburg) und der bald darauf von den Tiroler Grünen “adoptierte” Staatsanwalt Walter Geyer in den Nationalrat ein. Die 4,8% liegen dennoch unter dem von Meinungsforschungsinstituten errechneten Grünwähler/innen-Potential. Der Hauptgrund dafür liegt sowohl im Image der Zerstrittenheit, das die Grünen seit ihrer Entstehung Anfang der 80er-Jahre haben und wohl nie mehr loswerden, als auch in der Tatsache, daß es Jörg Haider mit Demagogie und einfachen Slogans gelang, den Großteil der Protestwähler anzusprechen. Die vorausgegangenen 3 Jahre Beteiligung an Regierungsmacht und Pfründen wurden der FPÖ offenbar nicht übelgenommen.
In den einzelnen Bundesländern schnitt die Grüne Alternative folgendermaßen ab:
- Vorarlberg 8,83%
- Wien 6,09%
- Salzburg 5,91%
- Tirol 5,76%
- Oberösterreich 4,87%
- Steiermark 4,08%
- Kärnten 3,78%
- Niederösterreich 3,59%
- Burgenland 2,48%
Das gute Ergebnis in Vorarlberg ist schon traditionell (siehe die 13% für die AL/VGÖ-Plattform bei der Landtagswahl im Oktober 1984), und ist wohl auch auf die antizentralistischen Einstellung der dortigen Bevölkerung zurückzuführen. Das Wiener Ergebnis überrascht etwas, da in der Bundeshauptstadt auch die GAL (0,66% und 6.005 Stimmen, und Karl Steinhausers Aktionsliste “Mir reicht’s!” (0,89% und 8.100 Stimmen) um linke bzw. rechte Proteststimmen kämpften. Wien ist sogar das einzige Bundesland, in dem die Grüne Alternative vor der FPÖ liegt. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in bürgerlichen Gegenden (die Bezirke mit den höchsten Grünstimmen-Anteile sind durchwegs Bezirke mit ÖVP-Mehrheiten!), am schlechtesten schnitt sie in den traditionellen Arbeiterbezirken Simmering, Favoriten und Brigittenau ab.
Das trotz eines aufwendig geführten Wahlkampfs sehr magere Ergebnis der GAL (sie kam nur auf rund ein Viertel der Stimmen, die die ALW bei der Wiener Gemeinderatswahl 1983 erhalten hatte) dürfte zwei Hauptursachen haben: Die GAL bezog ihre Identität in erster Linie aus dem Hinhacken auf die Grüne Alternative — Liste Freda Meissner-Blau, obwohl inhaltliche Unterschiede kaum vermittelbar waren. Viele, die unmittelbar nach dem 4. Oktober von der Grünen Alternative enttäuscht waren, wählten sie schließlich doch, um wenigstens irgendwelche Grüne mit Sicherheit ins Parlament zu bringen.
Schwache Ergebnisse in ländlichen Gebieten
Bei der Betrachtung der Grünstimmen in den Städten und politischen Bezirken fällt auf, daß die besten Ergebnisse zumeist in größeren Städten, u. a. solchen mit Universitaten, zu finden sind, während die Grün-Anteile in wirtschaftlich unterentwickelten, überwiegend ländlichen, oft grenznahen Gebieten (Südliches Burgenland, Waldviertel, Südsteiermark, westliches Mühlviertel,…) am schwächsten sind.
Eine Ausnahme bildet allerdings das gemischtsprachige Gebiet Südkärntens, vor allem der politische Bezirk Völkermarkt, dessen Bevölkerung zu einem knappen Fünftel der slowenischen Minderheit angehört. In vielen der dortigen Gemeinden ist die mit der Grünen Alternative eng zusammenarbeitende christlich-slowenische “Koroška Enotna Lista” (Kärntner Einheitsliste, KEL) vertreten. Die überdurchschnittliche Unterstützung der Grünen durch die Kärntner Slowenen zeigt sich noch deutlicher bei der Betrachtung der einzelnen Gemeinden: das absolute Spitzenergebnis, nämlich 25%, erzielte die Grüne Alternative nämlich in Zell/Pfarre [Sele], einer Hochburg der KEL (35,2% bei der Gemeinderatswahl im Jahr 1985).
Ähnliches gilt für die zweit- und drittgrünsten Gemeinden Globasnitz [Globasnica] (18,4%) und Bleiburg [Pliberk] (14%). Die 13% in Steyregg (Oberösterreich) sind auf den “Heimvorteil” Josef Buchners zurückzuführen. In 12 der 2.303 österreichischen Gemeinden wählten über 10% die Grüne Alternative, in 60 über 8% (mehr als die Hälfte dieser Gemeinden, nämlich 34, liegen in Vorarlberg). Von den größeren Städten weisen allerdings nur 5 mehr als 8% Grünstimmen auf: Salzburg, Innsbruck, Dornbirn, Bregenz und Feldkirch. Alle diese Städte liegen im Westen Österreichs.
Parteiaufbau von oben nach unten
Während sich der grüne Parlamentsklub schon bald nach der Nationalratswahl organisiert, dauert es mehrere Monate, bis die Partei überhaupt in allen Bundesländern Landesorganisationen und Strukturen aufbaut (Die meisten Wiener Bezirksgruppen entstehen erst im Zuge des Gemeinderatswahlkampfs im Herbst 1987). Der 1. Bundeskongreß, auf dem das Statut der Grünen Alternative beschlossen wird, findet am 14./15. Februar 1987 auf Einladung der KEL in einem slowenischen Schülerheim in Klagenfurt statt. Dort kommt es zum Bruch mit den Geld und Posten fordernden VGÖ, die zu diesem Zeitpunkt allerdings nur mehr aus kleinen, zum Teil weit rechts stehenden Resten der ursprünglichen VGÖ bestehen.
Der Großteil der ehemaligen VGÖ-Mitglieder ist mittlerweile in der Grünen Alternative aufgegangen, wie z. B. Eva Hauk und Werner Moidl, die beide beim Bundeskongreß von den Delegierten in den 8-köpfigen Bundesvorstand gewählt werden (dem außerdem noch Jeanette Berger, Ulrich Gabriel, Astrid Kirchbaumer, Ridi Unfried, Christian Wabl und Miriam Wiegele, die fast alle vor der Einigung in der ALÖ aktiv waren, angehören).
Die Auseinandersetzung zwischen Grüner Alternative und Rest-VGÖ zieht sich wie ein roter Faden durch die darauffolgenden Wahlkämpfe. Der endgültige Bruch wird allerdings erst im Dezember 1987 mit dem Ausschluß Josef Buchners aus dem grünen Parlamentsklub vollzogen.
Quelle
Gerhard Jordan: “Die Nationalratswahl am 23. November 1986”. In: Christian Wabl / Wolf Steinhuber [Red.]: Die Republik im Fieber. Erste Diagnose. Ein Jahr Grün-Alternative im Parlament. Graz: Grüne Bildungswerkstatt 1987, S. 338-341
Bilder aus dem Bestand des Grünen Archivs
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