Am 25. September 1996 veranstalteten die Grünen das Hearing “Medienfreiheit in Österreich” im Budgetsaal des Parlaments. Wir bringen heute den Beitrag “Dichands Ausnahme. Wie man sich in Österreich eine Gesetzesnovelle bestellt” von Karl Öllinger, Nationalratsabgeordneter und Sozialsprecher.


Dokumentation des ersten Hearings zur Medienfreiheit in Österreich.

Dokumentation des ersten Hearings zur Medienfreiheit in Österreich.

Kurz vor der Budgetausschußberatung erhielt ich einen Eilbrief von Herrn Dichand. Er forderte mich auf zu bedenken, daß eine Werkvertragsregelung für Kolporteure eine Gefährdung der Pressefreiheit mit sich brächte, und daß es auch auf meine Stimme ankäme, um die Pressefreiheit in Österreich zu sichern.

Ich wollte mit dem Antwortschreiben die nächste Sitzung abwarten, um eventuelle Veränderungen oder Neuerungen berücksichtigen zu können. Üblicherweise geben im Budgetausschuß die Sprecher aller Parteien ihre Erklärungen zu den jeweils aktuellen Themen ab. Es fiel auf, daß außer mir niemand etwas zu den Werkvertragsregelungen bzw. zu dem Dichand-Brief zu sagen hatte. Ich erklärte, daß ich diesen Brief erhalten hatte, gab meiner Meinung dazu Ausdruck und forderte alle Anwesenden auf, ihre Meinungen kund zu tun.

Mir war unklar, ob und wie sehr dieser Brief für die Entscheidung innerhalb der anderen Parteien eine Bedeutung haben würde. Das Liberale Forum boykottierte zu diesem Zeitpunkt die gesamten Budgetberatungen, weshalb keine Vertreter im Ausschuß zugegen waren. Die Sitzung endete ohne jedwede Reaktion der anderen Parteienvertreter.

Am selben Nachmittag fragte mich ein Journalist, was es mit der Abänderung der Werkvertragsregelung, laut der die Kolporteure ausgenommen seien, auf sich habe. Ich konnte ihn nur darüber informieren, daß eine derartige Abänderung im Ausschuß nicht zur Sprache gekommen war. Tags darauf, als abgestimmt werden sollte, fand ich tatsächlich den kleinen Passus — “Abänderung der Werkvertragsregelung” — in den Unterlagen, der mir nur aufgrund der Informationen des Journalisten aufgefallen war.

Bei der Abstimmung wurde die Abänderung mit keiner Silbe erwähnt und es wurde auch nicht darüber diskutiert, dieser Passus wurde “hineingeschmuggelt”, mit der Absicht, Kolporteure auszunehmen. Dies gelang jedoch nicht sofort. Die Ausnahmeregelung wurde offensichtlich so schnell und schlampig entworfen und in das Gesetz hineinreklamiert, daß sie der Mediaprint nicht paßte. Mit der Folge, daß im Plenum über einen Abänderungsantrag zum Abänderungsantrag abgestimmt wurde, um eine präzise Mediaprint-Ausnahmeregelung zu garantieren. Vor dieser Plenumsabstimmung erfuhr ich, daß weder die erste noch die zweite Abänderung auf Wunsch des Sozialministeriums, sondern auf höchste Anordnung hin (Bundeskanzler) erfolgt war. Es war bereits abzusehen, daß diese Regelung mit relativer Sicherheit als verfassungswidrig gelten wird, was auch den Beamten des Ministeriums klar ist.

Redaktion: Stellt es eine Besonderheit dar, daß über diesen Brief nicht gesprochen wurde?

Öllinger: Es ist unüblich, daß außer mir niemand auf diesen Brief einging. Selbst auf Nachfrage meinerseits wurden weder der Brief noch die Abänderung besprochen. Offensichtlich wollte man diese Angelegenheit unter Ausschluß der Öffentlichkeit behandelt wissen.

Stoisits: Welche Summen gehen den Krankenkassen bzw. dem Sozialministerium an Sozialversicherungsbeiträgen für das Budget verloren?

Öllinger: Eine Überschlagsrechnung: 2.000 Kolporteure mit einem ungefähren Bruttoeinkommen von 8.000,- Schilling monatlich; der Arbeitgeberanteil der Mediaprint beliefe sich auf ca. 1000,- Schilling pro Person, d. h. ca. 2 Millionen monatlich, was ca. 25 Millionen Schilling pro Jahr ausmacht. Das ist ein für die Mediaprint durchaus nicht hoher Betrag.

Vana: Vorher stellt sich noch die Frage der Arbeitsbedingungen. Wenn sie Dienstnehmer sind, muß die Gewerkschaft tätig werden, was schon längst geschehen hätte müssen, und in Kollektivvertragsverhandlungen eintreten, die bei diesen Arbeitszeiten, welche ohnehin von keinem österreichischen Gesetz gedeckt sind, zu völlig anderen Einkommen führen müßten. Wenn klar ist, welches Einkommen den Kolporteuren zusteht, muß als zweites die Frage der Kaution geklärt werden, weil die unzulässigen Kautionen zu verzinsen wären. Dann ist die Frage zu klären, wieviel an Lohnsteuer und an Sozialversicherungsbeiträgen verloren geht.

Redaktion: Wenn es der Mediaprint nicht in erster Linie oder nicht nur ums Geld geht, worum dann?

Öllinger: Die NKZ [Neue Kronenzeitung, Anm.] müßte sich in bezug auf die Ausländerbeschäftigung deklarieren, denn die Kolporteure fielen dann unter die Quotenregelung. Nachdem die NKZ bekanntermaßen in dieser Hinsicht eine sehr restriktive Politik betreibt, fiele es ihr vermutlich schwer, ausgerechnet für das eigene Unternehmen eine Erhöhung der Quote zu beantragen.

Redaktion: Eine Werkvertragsregelung — wie auch immer sie konkret aussieht — brächte kleine soziale Verbesserungen für Kolporteure. Kann man der Mediaprint unterstellen, daß sie derartige Verbesserungen auch deshalb verhindert, weil die Koporteure so noch stärker der Willkür des Unternehmens ausgesetzt sind?

Öllinger: Davon bin ich überzeugt. Die Mediaprint macht mit dem wehrlosen Status der Kolporteure Politik.

Redaktion: Werden Vorbereitungen hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung getroffen?

Öllinger: Ja. Wir werden eine Verfassungsklage einbringen und versuchen, das erforderliche eine Drittel an Abgeordneten zu gewinnen. Der VfGH wird frühestens Mitte 1997 ein Urteil fällen.


Literaturangabe

Andrea Danmayr, Maria Windhager [Red.]: Die Äußerung der Meinung ist frei. Dokumentation des ersten Hearings zur Medienfreiheit in Österreich. Herausgeber: Die Grünen – die grüne Alternative / Grüne Bildungswerkstatt / Grüner Klub im Parlament. Gestaltung: Jürgen Brües. 1. Auflage. Wien: Remaprint 1996 (Grünes Archiv)

Zum Weiterlesen

Eva Simmler: Und täglich grüßt der Zeitungszusteller. Außen- und Innenansichten über das Kolportagesystem. In: Kulturrisse 2/2012

Harald Fidler: Zeitungskolporteure: Werkvertrag oder Ausreise. In: Der Standard, 18. Februar 2004