Das Manifest der 1000 Worte über die Grüne Bildungswerkstatt erschien in Impuls Grün.

Das Manifest der 1000 Worte über die Grüne Bildungswerkstatt erschien in Impuls Grün.

1987 wurde die Grüne Bildungswerkstatt als politische Bildungseinrichtung der Grünen gegründet. In der Zeitschrift “Impuls Grün” 6+7/1991 berichteten Karl Kaser, Markus Ludescher, Georg Monogioudis, Christian Promitzer und Christian Wabl über die Prinzipien, die diese Bildungsarbeit leiten. Titel: “Manifest der 1000 Worte” (wir haben nicht nachgezählt).


Die Grüne Bildungswerkstatt hat vor wenigen Jahren ihre Tätigkeit aufgenommen. Die Alternative Bildungsarbeit befindet sich im Aufbau. Wir betreten daher weitgehendst Neuland. In den den letzten Jahren haben sich die Prinzipien, an denen wir unsere Bildungsarbeit orientieren, gefestigt.

Wir gehen von der Überzeugung aus, daß die klassische industriekapitalische Gesellschaft ihren Zenit überschritten hat und in eine Krise mit den sie begleitenden Widersprüchen geraten ist. Wir leben in einer Zeit nicht oder nur sehr schwer kalkulierbarer Risiken. Von manchen wird diese veränderte Konstellation als Risikogesellschaft, Postmoderne oder Postmaterialistische Gesellschaft bezeichnet. Wir befinden uns in einer Übergangsepoche. Die beim Beschreiten dieser Epochenwende auftretenden Widersprüche ließen die Alternative Bewegung entstehen.

Unsere Gesellschaft beherrschen noch Denkweisen, die, wie wir wissen, zerstörerisch sind. Wir sind gegen diese Mentalität der Moderne, die eine Mentalität des Glaubens an den linearen und quantitativen Fortschritt ist. Da wir sie bezweifeln und eine Alternative Kultur ermöglichen wollen, stehen wir am Rande der herrschenden Kultur. Ziehen wir Bilanz!

Die Moderne brachte unverzichtbare Leitbilder wie Demokratie, Mündigkeit, Aufklärung, Wissenschaft, Emanzipation, Menschen- und Bürgerrechte hervor.

Wenn eine Fähigkeit abseits vom Denken erworben wird, so fehlt das Verständnis für den Gebrauch, der von ihr gemacht werden soll. Wissen ohne Beziehung zu verständigem Handeln aber ist toter Ballast. – John Dewey

Wir müssen sie erst einlösen! Auf der Negativseite erbrachte sie jedoch: Erfahrungsverlust, Entfremdung, unterdrücktes und verdinglichtes Bewußtsein, Forschung ohne Rückbezug auf soziale Auswirkungen, den Kult des Quantitativen, die völlig unzureichende Berücksichtigung der Frau im Konzept der bürgerlichen Gesellschaft, Ethnozentrismus im Sinne einer Verabsolutierung des Modells Westeuropa und den eindimensionalen Vernunftbegriff (Ausgrenzung des Heterogenen). Wir müssen das Bewußtsein analysieren, das hinter dieser Mentalität der Moderne steht. Zugleich müssen wir aktiv an der Entwicklung von Denkkategorien für die Zukunft arbeiten.

Das in unserer Gesellschaft herrschende Bewußtsein und dessen Mentalitätsstrukturen hinken zum Teil der Realität nach. Sie sind durch das Kainsmal des kollektiven Verhaltens und der kollektiven Einstellungen vergangener, nicht mehr realitätsadäquater Normen und Lösungsstrategien belastet. Das soll nicht heißen, daß unser gegenwärtiges Denken immer richtig ist. Solche Fragmente falscher Denkstrukturen bestimmen unser Handeln. Sie hindern uns auch daran, die Realität und vor allem die gesellschaftliche Realität in ihrer Veränderung zu erkennen.

Denkstrukturen entfremdet von Realität

Bestimmte Denkstrukturen ändern sich langsam, über Jahrhunderte oft gar nicht. Das entfremdet uns gewissermaßen von der bestehenden Realität. Immer wieder versuchen die Mächtigen in Politik und Wirtschaft und sogar die Beherrschten, Probleme mit gleichbleibenden Mitteln zu lösen. Daß sich Realität jedoch sehr rasch und immer rascher verändert, will eine konservative und auf die ständige Wiederholung von Handlungsmustern angelegte Mentalität nicht zulassen. Das Ergebnis ist ein enormer Widerspruch zwischen der Wahrnehmung bestehender Probleme und den unterlassener Handlungen. Beständig darauf hinzuweisen, ist unsere historische Aufgabe. Arbeiten wir nicht daran, machen wir uns schuldig.

  • Bildungsarbeit heißt also, diesen fundamentalen Widerspruch herauszuarbeiten. In einer Alternativen Kultur haben Menschen die Möglichkeit, diesen zu erkennen und ihr Handeln danach auszurichten.
  • Bildungsarbeit soll weiters bewirken, daß Menschen gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und politische Zusammenhänge erkennen können. Aber was nützt es, wenn sie für sich daraus nicht die entsprechenden, selbstbestimmten Handlungen entwickeln können? Die industriekapitalistische Gesellschaft hat Erkenntnis und daraus folgende Handlungen voneinander getrennt. Der daraus resultierende Erfahrungsverlust führt dazu, offensichtliche Widersprüche nicht mehr erkennen zu können. Die Aufgabe lautet also, Erkennen und Handeln wieder zusammenzuführen.
  • Eines der grundlegendsten Ziele grünalternativer Bildungsarbeit ist darüberhinaus, auf individueller Ebene Menschen darin unterstützen, zu Subjekten des Denkens, Fühlens und Handelns zu werden, und auf kollektiver Ebene ihre solidarische und demokratische Handlungsfähigkeit zu fördern. Mit anderen Worten: Sie darin zu bestärken, sich aus ihrer unbewußten Objektrolle zu befreien. Dies heißt nicht Zwangsbeglückung von oben, wenn es im Rahmen einer Alternativen Kultur geschieht.
  • Bildungsarbeit heißt auch, Menschen darin zu unterstützen, durch eigene oder kollektive Arbeit zu Erkenntnissen zu gelangen – Erkenntnisse, die nicht von oben oktroyiert werden, sondern in einem aktiven Aneignungsprozeß von unten kommen. Wir wollen damit auch sagen, daß Erkenntnisse nicht blindlings übernommen, sondern selbst gewonnen werden sollen.
  • Bildungsarbeit muß exemplarisches Lernen zum Ziel haben. Allgemeines Wissen, geschichtliches wie ökonomisch-politisches Wissen, gewinnt seinen Bildungswert ausschließlich dadurch, daß es in den eigenen Erfahrungshorizont rückübersetzbar gemachtwird. Die Grüne Bildungswerkstatt hat sich genau dies vorgenommen.
  • Die gegenwärtige Gesellschaft hat nicht nur die Arbeitsteilung, sondern auch die Wissensteilung weitvorangetrieben. Das war und ist für sie notwendig. Sie hat SpezialistInnen für immer engere Wissens- und Forschungsdisziplinen hervorgebracht, die daher nur mehr in der Lage sind, Wissenssegmente wahrzunehmen. Eine der Aufgaben der Bildungsarbeit ist daher, die gesellschaftlich relevanten Wissens- und Erkenntniseinheiten wieder zu vernetzen und in globales Denken zu überführen. Daraus folgt, daß auch das kollektive Denken unserer politischen Bewegung einerseits parteilich im Sinne von Engagement für unsere Werte, andererseits global, offen und transparent sein soll.
  • Wir wissen, daß der Reichtum unserer Gesellschaft auf der Armut der Dritten Welt beruht. Wir sind uns darüber im klaren, daß Bildung ein Privileg ist, das wir mit den Menschen der Dritten Welt nicht oder viel zu wenig teilen. Es sollte ein Schwerpunkt grün-alternativer Bildungsarbeit sein, diese Zusammenhänge in ihrer weitreichenden Bedeutung zu erkennen. Daraus folgt, daß der multikulturelle Zugang zu Problemen eine Grundlage unserer Arbeit darstellt.


Die Grüne Bildungswerkstatt ist keine Reproduktionsstätte eines gesellschaftlich sanktionierten Wissenskanons. Sie bekennt sich zu einer Integration von informellem und formellem Wissen. Ohne den Verwertungsaspekt von Bildung auszuklammern, verwehrt sich die Grüne Bildungswerkstatt gegen eine lnstrumentalisierung von Bildung. Sie arbeitet für die Bewältigung der gegenwärtigen und zukünftigen Probleme.

Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß Bildung keine Ware ist, die man anbietet und konsumiert.

Bildung ist nicht der Griff zur richtigen Wissenskonserve

Bildung ist nicht der Griff zur richtigen Wissenskonserve. Wir sind uns darin einig, daß die Grüne Bildungswerkstatt materielle und ideelle Impulse setzen soll, die zur Weiterentwicklung einer Alternativen Kultur führen können. Wir wollen Inhalte, Schwerpunkte und Ziele dieser Alternativen Kultur nicht fixieren, sondern offen bleiben und uns neuen Entwicklungen nicht verschließen. Dies sind die ewigen und gleichzeitig veränderbaren Prinzipien grün-alternativer Bildungsarbeit. Sie dürfen nicht Papier bleiben. Taten sagen mehr als 1000 Worte. Viele Taten sind schon gesetzt. Mühsam haben wir erste wichtige Schritte in ein Neuland getan, das in einer weitgehend entpolitisierten österreichischen Gesellschaft liegt. Der Weg ist voller Hindernisse. Wir gehen ihn entschlossen weiter.