Wilfriede Monogioudis und Irene Windisch im Gespräch.

Wilfriede Monogioudis und Irene Windisch im Gespräch.

Bei der Grazer Gemeinderatswahl am 24. Jänner 1988 verlor die Alternative Liste Graz (ALG) zwei  ihrer vier Mandate und kam auf 7074 Stimmen. Die Vereinten Grünen (VGÖ) waren unter dem irreführenden Namen “VGÖ-AL” angetreten und erreichten mit 1510 Stimmen kein Mandat. “Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen” ist der Titel eines Interviews mit den neuen ALG-Gemeinderätinnen Wilfriede Monogioudis und Irene Windisch, das im Grünen Rundbrief vom 5. Februar 1988 erschien. Die Fragen stellte Ridi Unfried vom Bundesvorstand.

Download des Interviews: 206-gemeinderatswahl-monogioudis-windisch.pdf (PDF, 2 MB)


Viele Grüne in allen Bundesländern hoffen bei den Grazer Wahlen nach den schlechten Ergebnissen von Burgenland und Wien auf eine Trendumkehr, zumindest auf einen Stop des negativen Trends. Was waren Eure Erwartungen?

Wilfriede: Auch nach den Wahlen in Salzburg, Wien und im Burgenland waren wir davon überzeugt, daß in Graz “die Uhren anders gehen”, und wir unseren Mandatsstand halten können. Unser Wahlziel war die Erreichung eines Sitzes im Stadtsenat, dazu wäre ein relativ geringer Stimmenzuwachs notwendig gewesen.

Warum habt Ihr dieses Wahlziel nicht erreicht?

Wilfriede:

  1. Das Ergebnis der Grazer Wahlen liegt nicht im Bundestrend. Die Spitzenkandidaten von SPÖ und OVP, Bürgermeister [Alfred] Stingl und Vizebürgermeister [Erich] Edegger, schafften es, ihre Eigenständigkeit gegenpber der Großen Koalition zu betonen. Nur die FPÖ versuchte mit [Jörg] Haider, Bundespolitik in den Wahlkampf einzubringen.
  2. Der Wahlkampf der Großparteien war inhaltsleer. Jede Konfrontation wurde vermieden, es gab z. B. keine Podiumsdiskussionen; im Vordergrund stand das Bekenntnis zur Zusammenarbeit der großen politischen Kräfte. Diese Harmonisierung schaffte ein Klima, in dem Inhalte großteils untergingen.
  3. Unsere Aussichten, die 4 Mandate zu halten, ja selbst auf einen Stadtrat, wurden auch in den Medien als gut ha-zeichnet. Das durfte manche ALG-Wähler von 1983 dazu veranlaßt haben, anderen “Bedrohten” zu Hilfe zu eilen. Zum Beispiel Erich Edeggers ÖVP, dem – alleingelassen von der Landespartei – ein deutlicher Verlust prognostiziert wurde. Oder der KPÖ, die sich – obwohl eine Woche vor den Wahlen noch totgesagt – von 1,8 auf 3,1 % verbessern konnte.
  4. Das Angebot an Listen war diesmal größer. Reine Protestwähler, die uns 1983 ihre Stimme gaben, sind wieder abgewandert.
  5. Grünalternative lokale Gründe: Die ALG wurde vor 5 Jahren zum Teil mit sehr hohen Erwartungen gewählt. Dabei wurden offensichtlich mehr greifbare Ergebnisse, wie die Befreiung des Landhaushofes von den Autos. erwartet. Wirksamkeit unserer Oppositionsrolle zu vermitteln ist naturgemäß schwieriger als mit Protestaktionen etwas unmittelbar zu erreichen. Die Medien, die uns vor unserem Einzug in den Gemeinderat sehr viel Platz widmeten, berichten über Gemeinderatsarbeit an sich schon spärlich und über unsere Tätigkeit kaum. Sicher haben uns offen ausgetragene Auseinandersetzungen wie der Ausschluß [Josef] Buchner aus dem Grünen Klub, auch die Auflösung der Wahlplattform im Landtag, geschadet. Dazu kommt, daß der Eindruck der Zerstrittenheit der Grünen von den Medien verstärkt wurde – auch in den Fällen, in denen es gar nicht um die Grünen, sondern um – von den Großparteien unterstützte – Listen ging.
    Auf Bezirksebene haben uns die Wähler erheblich mehr Kompetenz zugetraut, deshalb erreichten wir hier weitaus bessere Ergebnisse.
So wählten die Grazerinnen und Grazer 1983 und 1988.

So wählten die Grazerinnen und Grazer 1983 und 1988.

Wie schätzt ihr das Ergebnis der anderen Parteien ein?

Wilfriede: Die beiden Großparteien hatten mit ihrer schon erwähnten Taktik Erfolg. Ihre Rechnung ist aufgegangen. Bürgermeister Stingl, dem es gelang, die Anhäufung ungelöster Probleme zu verdecken, schaffte wie vorauszusehen mit Hilfe des Bürgermeisterbonus einen Mandatsgewinn. Vize-BM Edegger, der gegen starke Kräfte wie Handelskammer und Baulobbys zu kämpfen hatte, wurde aufgrund des Wahlergebnisses innerparteilich gestärkt. Der Versuch der FPÖ, mit Hilfe ihres Bundesparteiobmanns über ihr Debakel in der Kommunalpolitik hinwegzutäuschen, mißlang. “Der frische Wind” verbuchte mit gigantischem Aufwand Edegger-feindliche Stimmung in Teilen der ÖVP zu benutzen. Profitiert hat er eher von den Verlusten der FPÖ. Der KPÖ – bisher von stetigem Stimmenschwund geplagt – kam der Mitleideffekt zugute, aber [auch] die Unzufriedenheit vieler Arbeiter mit der SPÖ.

Konntet ihr den Frauenbonus nützen?

Wilfriede: Wir vermuten, daß wir überdurchschnittlich von Frauen gewählt wurden, wahrscheinlich aber nicht in dem von uns erhofften Ausmaß.

Kann man Eurer Meinung nach Erfahrungen dieser Wahl auf andere übertragen, konkret auf die nächste Landtagswahl in NÖ?  (Professionalität des Wahlkampfes, Höhe der eingesetzten Mittel …)

Jede Wahl hat ihre eigenen Bedingungen, und die Erfahrungen sind schwer übertragbar. Eine Erkenntnis für mich ist, daß es sich nachteilig auswirkt, wenn man sich nicht auf eine breite Basis grün-alternativer Menschen stützen kann.

Ein Beispiel: In Wohngebieten, wo Aktivisten es schafften, für Information und Vertrauensbildung zu sorgen, ist die Resonanz deutlich positiver, was sich in einem wesentlich höheren Stimmenanteil bei einzelnen Sprengelergebnissen niederschlug.

Inwieweit hat sich die VGÖ-Kandidatur (VGÖ-AL) ausgewirkt?

Irene: Daß es diese Partei nur auf dem Papier gibt, braucht wohl nicht betont zu werden. In der Steiermark besteht sie faktisch aus [Josef, Anm.] Korber, dem es immer wieder gelingt, Leute unter Vorspiegelung falscher Tatsachen — nämlich der Vorwand, echte Grünpolitik machen zu wollen im Gegensatz zu uns Alternativen, die wir nach seiner Diktion ultralinks sind —einzufangen. Viele kommen bald dahinter, daß es hierbei nicht um andere inhaltliche politische Positionen geht, sondern daß es um eine Vernichtungs- und Verleumdungskampagne gegen die Alternativen — in Graz gegen die ALG — geht.

Da sich aber bei der VGÖ, wie sich bei den Wahlen in Wien, Burgenland, Salzburg, usw. zeigt, um eine Minderheitenfeststellung handelt, wenn diese unter ihrem eigenen Namen antritt, mußte er das Kürzel “AL” benutzen. Skurrilerweise werden so die geschmähten ultralinken Alternativen zu der sauberen, wahren Alternative zum Zweck der Verwirrung der Wähler und Wählerinnen. 1,1 % war das beste Ergebnis, das er dadurch erreichen konnte.

Konsequenzen: Wir haben eine einstweilige gerichtliche Verfügung erwirkt, die der VGÖ zumindest bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung untersagte, den Zusatz “AL” zu benutzen. Da aber die Wahlbehörde eine autonome Behörde ist und sich an zivilgerichtliche Urteile nicht zu halten braucht, konnte er trotzdem mit “VGÖ-AL” auf dem Wahlzettel stehen. Die Wahlbehörde ist ein parteipolitisch zusammengesetztes Gremium, oberste Wahlbehörde ist der SP-Bürgermeister. Er verwehrte uns und unserem Rechtsanwalt die Akteneinsicht. Die Folge davon: Die einstweilige Verfügung konnte nicht allen Kandidaten/innen auf der VGÖ-Liste zugestellt werden, und somit wurden nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten von diesem Etikettenschwindel unterrichtet. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß doch noch mehr als drei Kandidatinnen, darunter die Spitzenkandidatin, davongelaufen wären, weil sie das falsche Spiel Korbers durchschaut hätten und nicht dafür geradestehen hätten wollen.

VGÖ-AL auf Platz 6 des Stimmzettels

Aufgrund der Wahlbehördenentscheidung, die “VGÖ-AL” unter diesem Namen zuzulassen, landete dieser auf Platz 6 — hinter der ALG (Platz 5). Kurioserweise bleibt Platz 4, der laut Wahlordnung der VGÖ-AL-Plattform zugestanden wäre (hier sieht die Wahlordnung nämlich vor, die Plätze nach ihrer Stärke im Landtag zu reihen) frei. Hier konnte sich Korber trotz aller Manipulationsversuche nicht durchsetzen.

Trotzdem ging die Rechnung auf, vor allem auch deswegen, weil nicht nur weiter trotz gerichtlicher einstweiliger Verfügung unter diesem Namen geworben wurde, sondern auch weil per Inserat auf die Landtagsebene verwiesen wurde: “Wählen Sie VGÖ-AL — wie bei den Landtagswahlen”. Viele Wählerinnen und Wähler verwechselten die beiden Listen 5 und 6. Da wir das 3. Mandat nur knapp verfehlten, ist das bei uns wahlentscheidend (siehe Klubstatus).

Gerichtlicher Streit hat dem grünen Image geschadet

Auch hat der gerichtliche Streit, der von den Medien nur allzu gern ausgewalzt wurde, dem Grünen Image sehr geschadet.

Besonders hervorgetan in diesem Verwirrspiel hat sich der ORF-Steiermark, der der VGÖ-AL mehr Sendezeit widmete (2 Pressekonferenzen an 2 aufeinanderfolgen-den Tagen) als der ALG, sowohl in diesem als auch im vergangenen Wahlkampf.

Wenn auch die Halbierung der Mandatszahl nicht nur auf die oben angeführten Umstände zurückzuführen ist, so müssen wir uns doch gegen solche Methoden der Wahlbehörde zur Wehr setzen. Wir nehmen nicht hin, daß die Einheitspartei SPÖ /ÖVP / FPÖ über das Gremium Wahlbehörde bestimmt, wer ihr politischer Gegner sein darf und welchen Namen er zu führen hat. Deswegen werden wir beim Verfassungsgerichtshof (nächste und letzte Instanz) wegen schwerer Verfahrensmängel Beschwerde einreichen und hoffen, daß es gelingen wird, ein für allemal festzustellen, wer die Grünen beziehungsweise die Alternativen sind und wer künftig berechtigt ist, diesen Namen zu führen. Das müßten wir schon im Hinblick auf unsere weitere Arbeit und kommende Wahlen — seien es Landtags- oder Nationalratswahlen — machen. [Die Anfechtung wurde vom VfGH am 12. Oktober 1988 zurückgewiesen, Anm.]

2 Gemeinderäte für die ALG, das heißt Verlust des Klub-Status im Grazer Rathaus. Wie werdet Ihr mit diesen Bedingungen jetzt zurecht kommen?

Irene: Der Verlust des Klub- bzw. Fraktionsstatus bedeutet für uns folgendes:

  1. Wir haben, da wir kein Klub mehr sind (3 Mandate), keinen Anspruch mehr auf ein Büro im Rathaus. Somit fallen auch Klubsekretär (ganztägig) und halbtägige Schreibkraft weg, daß Telefon und Schreibmaschine ebenso verlustig gehen, ist klar.
  2. Wir haben kein Stimm- und selbstverständlich kein Rederecht in den Ausschüssen mehr, können aber laut neuer Geschäftsordnung an den Ausschüssen teilnehmen, wodurch wir wenigstens die wichtigste Informationsquelle in den bedeutendsten Ausschüssen nicht verlieren. Wir werden natürlich, da wir ja jetzt nur 2 sind, nur die wichtigsten Ausschüsse besuchen.
  3. Wir haben das Antragsrecht verloren, wodurch wir bei Anträgen im Gemeinderat auf die Unterstützung (Unterschriften) zweier anderer Mandatare angewiesen sind. Da Anträge unterschreiben nicht heißt, daß man gleichzeitig inhaltlich konform geht, sehe ich keine Schwierigkeit, nicht auch Gegenseitigkeit mit den 2 Mandataren der Liste “Frischer Wind” zu praktizieren, da sie ja auch auf uns zurückgreifen werden müssen (siehe Abkommen im Nationalrat zwischen Grünen und FPÖ).
  4. Die Organisation der Arbeit wird vereinfacht werden müssen; Kommunalebene, Landtagsebene und Bundesebene werden sowohl räumlich (Büro), als auch arbeits- und personalmäßig (Schreibkraft und Sekretär) zusammenrücken müssen.
  5. Wir werden weniger Energie in die Gemeinderatsarbeit investieren, dafür möglichst viel Information nach außen tragen. Pressearbeit wird noch wichtiger werden als bisher. Nach dem ersten Schock, den der Wahlausgang verursacht hat, werden wir in die Hände spucken — fünf Jahre harte Arbeit liegen vor uns. Die Arbeit muß weitergehen — ja es sieht so aus, als ob unser Widerstand stärker werden muß, wollen wir die Angriffe abwehren, die auf uns zukommen. Vor wenigen Tagen sind in Österreich 2 unerwünschte Gebraucht-Abfangjäger gelandet — nur probeweise — aber sie werden kommen.

Widerstand gegen die Draken

Wie wird Eure Arbeit in Zukunft aussehen?

Irene und Wilfriede: Die Arbeit geht weiter im Gemeinderat, aber vor allem draußen in den Bezirken. Der Widerstand gegen die Draken ist angesagt und wird zusammen mit den Bürgerinitiativen fortgesetzt werden. Das Verkehrschaos von Graz und unsere Alternative die der Stadtbahn wird weiterhin eines unserer Schwerpunktthemen bleiben. Das Grazer Mülldebakel mit seinen vielfältigen Facetten und Dummheit, Ignoranz und ökologischer Blindheit, wird ebenso ein Schwerpunkt bleiben wie die schlechte Luft und die wirtschaftliche Situation in Graz. “Die Hälfte reicht” (halbes Gehalt für Mandatare) werden wir weiter vertreten und vorleben (im wahrsten Sinne des Wortes). Vor allem wird uns die Situation der Frauen ein Anliegen sein, die ja als erste von der wirtschaftlichen Situation betroffen sind.

Wilfriede: Wir werden analysieren müssen, wie weit die Gründe für den Verlust von 2,2 % bei uns liegen und welche Gründe es sind. Wir müssen es schaffen, für Bezirksarbeit und Mitarbeit in verschiedenen Initiativen mehr Menschen zu motivieren. Es muß uns gelingen, die Grazer und Grazerinnen über unsere Arbeit — auch im Gemeinderat — zu informieren; daß die 4 ALG-Gemeinderäte die fleißigsten waren und die meisten Anträge gestellt haben, ist nur einem kleinen Sympathisantenkreis bekannt. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, wir sind nicht nur Partei, sondern auch Bewegung. Die Standbein-Spielbeintheorie soll wieder ihre Richtigkeit haben.

Wir danken für das Gespräch und wünschen Euch — trotz oder gerade wegen der veränderten Bedingungen — alles Gute!