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Krautsalat. Gedankensammlung der Grünen Alternative Tirol, Band 1. Innsbruck: Grüne Bildungswerkstatt Tirol, ca. 1990, Titelbild (Grünes Archiv, Inventarnr. 319)

“Wir wollen uns aufmachen von der Wegwerfgesellschaft zur Wiederverwertungsgesellschaft”. 1990 gab die Grüne Bildungswerkstatt Tirol die Broschüre “Krautsalat” heraus. Menschen von innerhalb und außerhalb der grünen Bewegung beschreiben darin den Stand der grünen Programmdiskussion. Der Programmentwurf “Zerfallende Erde” zeigt die Vorschläge der Grünen Alternative Tirol zur Abfallvermeidung und Abfallverwertung – viele davon noch immer aktuell wie das Verbot von Einweg-Getränkeverpackungen, aber doch auch einige schon umgesetzt wie der Altlastenkataster.


1. Einleitung

1.1. Wir wollen uns aufmachen von der Wegwerfgesellschaft zur Wiederverwertungsgesellschaft, von der Verschwendungswirtschaft zur Versorgungswirtschaft, die Güter nach ihrer Sinnhaftigkeit und nicht ausschließlich nach ihrer Gewinnträchtigkeit beurteilt. An dem, was unsere Zivilisation ausscheidet – dem Abfall – zeigt sich deutlich, daß nicht ökologische Kreisläufe Ziel derzeitigen Wirtschaftens sind, sondern Verbrauch und schneller Verschleiß. Je schneller der Verschleiß, je höher der Verbrauch, je beworbener der Konsum, desto höher, schneller, begehrter der dadurch erzielbare Gewinn.
1.2. Bei der Herstellung und beim Verbrauch von Gütern wird wenig Rücksicht genommen auf den sparsamen und intelligenten Einsatz von Rohstoffen und Energie.
1.3. Bei der Entledigung von nicht mehr Gebrauchtem bedienen wir uns der Luft (Luftmüll), des Wassers (Wassermüll) und des Bodens (Bodenmüll) – Elemente, die den Menschen und der Tier- und Pflanzenwelt als Lebensgrundlage dienen. Die Luft-, Boden- und Wasserverschmutzung belastet die gesamte Umwelt, einschließlich Mensch.
1.4. Dies wird in Kauf genommen, denn so lassen sich auf deren Kosten einträgliche Produktionssysteme organisieren, bei denen Einzelinteressen vor dem gesellschaftlichen Wohl gehen.
1.5. Es ist nicht die Bevölkerung “schuld” an den Müllbergen. Hier schlechtes Gewissen zu erzeugen, in dem der Müll in pro-Kopf-Quoten berechnet wird, ist fehl am Platz.

1.6. Verursacher der Abfallmengen sind vor allem Industrie und Handel, die den wenig organisierten und informierten Verbrauchern praktisch keine Wahlmöglichkeit lassen: entweder kaufen sie die Verpackungen mit, oder sie opfern ihre Freizeit, nach Informationen oder alternativen Geschäften zu suchen.
1.7. Solange noch Müllgruben zum Vergraben und entlegene Plätze zum Verbrennen von Abfällen gefunden werden können, sind Müllproduzenten und Politiker aller Ebenen froh, wenn der Unrat aus dem Gesichtsfeld verschwindet. Da wird oft nicht gefragt, auf welche Weise das geschieht.
1.8. Weil auch eine öffentliche demokratische Kontrolle fehlt, kommt es zu zweifelhaften Müll-Manipulationen und -Geschäften.
1.9. Eine zukünftige Behandlung des Abfallproblems muß innerhalb einer Wirtschaft geschehen, die anderen Prioritäten folgt: ökologisch und sozial verträglich und mit Mitspracherechten von Verbraucher- und Umweltverbänden.
1.10. Nicht die technologische Beseitigung des Abfalls darf Schwerpunkt sein, sondern ein politisches Gesamtkonzept zur Vermeidung und Verminderung von Abfällen. Verbleibende Abfallstoffe müssen umweltschonend verwertet bzw. in Anlagen nach dem Stand der Technik – bei verstärkter Forschung – beseitigt werden.
1.11. Müllbeseitigungsanlagen und Deponien bedeuten für die dort lebende Bevölkerung ein erhöhtes Umwelt- und Gesundheitsrisiko. Deshalb muß die Mitbestimmung der Betroffenen bei der Auswahl von Standorten und bei der Planung von Anlagen eine Selbstver-ständlichkeit sein.
1.12. Bei der Umsetzung von Konzepten und Getrenntsammlungssystemen ist auf die Akzeptanz und die Beteiligung der Bürger und Kommunalpolitiker besonders zu achten.
1.13. Der Wandel hin zur Vermeidung, Verwertung, Entgiftung und ökologisch notwendigen Entsorgung muß überall und gleichzeitig ansetzen: bei Herstellung und Verbrauch der Waren und bei der Abfallbehandlung.

2. Vermeidung und Verminderung

“Der beste Müll ist der, der gar nicht anfällt”

Abfall kann reduziert und vermieden werden durch:
2.1. Herstellungs- und Verwendungsverfahren, die wenig Abfälle erzeugen und die gefährliche Stoffe als Nebenprodukte vermeiden.
2.2. Pfandsysteme für Mehrwegflaschen, Batterien, Autobatterien, Leuchtstoffröhren.
2.3. Verwendung von Pfandeinnahmen für die Wiederverwertung und Umstellung auf abfallarme und umweltfreundliche Produkte.
2.4. Pfandflaschen für Getränke und Milchprodukte aus Glas.
2.5. Aufstellung von “stählernen Kühen
2.6. Kennzeichnungspflicht für Kunststoffverpackungen und schadstoffreiche Batterien.
2.7. Rücknahmepflicht für Reste von Farben, Lacken, Pflanzenschutzmitteln, Chemikalien, Arzneimitteln von Produzenten und Händlern.
2.8. Verbot von Einweg-Getränkeverpackungen, Verbundkarton, PVC, AIu-Dosen, Plastikflaschen, Produkten mit schadstoffreichen Batterien zum Wegwerfen.
2.9. Verwendung von Mehrwegpackungen, insbesondere für Getränke.
2.10. Müllgebührenverordnungen (nach Volumen), die zur Vermeidung und Verwertung anreizen.
2.11. Öffentliche Verbraucherinformation und -beratung
2.12. Mitspracherecht von Verbraucherorganisationen (Interessensvertretung von Verbrauchern).
2.13. Abfallinformation in der Produktwerbung
2.14. Rücknahmepflicht des Erzeugers oder Beteiligung des Erzeugers an der Abfallbeseitigung.
2.15. Erhöhung der Haltbarkeit von Waren, Angabe von Garantiezeiten.
2.16. Reparaturfreundliche Produkte mit Anweisung zum Selbstreparieren.
2.17. Produkte, die natürlich abbaufähig sind (Naturstoff statt Kunststoff)
2.18. Wirksame Luftreinhaltebestimmungen, um Luftschadstoffe zu vermeiden.
2.19. Herstellung und Verwendung umweltfreundlicher Wasch- und Reinigungsmittel
2.20. Kompostierung sowohl im Hausgarten als auch in Anlagen (Voraussetzung dafür ist die Entgiftung der dafür verwendeten Abfälle)

3. Verwertung

“Der Weise schaut, daß nichts verloren geht” (Lao Tse, 500 v.C.)

Die Rückführung von Abfällen in Rohstoffkreisläufe oder zur Bodenverbesserung in natürliche Kreisläufe soll geschehen durch:
3.1. Getrenntes und sortenreines Sammeln von Glas, Papier, Pappe, Textilien, Kunststoffen, Metallen, mineralischen bzw. vegetabilen Abfällen und Holz, zuerst in Haushalt oder in Containern, die sich in der Regel nicht weiter als 300 m entfernt vom Ort der Abfallentstehung befinden.
3.2. Die Getrenntsammlung soll verpflichtend dezentral von den Gemeinden unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten und vorhandener Lösungsansätze durchgeführt werden.
3.3. Zentrale Sammlungs- und Sortierungsanlagen stellen keinen geeigneten Beitrag zu einer ökologisch orientierten Abfallwirtschaft dar, da die aus dem Sammlungsmüll sortierten Stoffe zu verschmutzt sind und zum Teil daher gar nicht wiederverwertet werden können.
3.4. Die Gemeinden und Gemeindeverbände, die die notwendigen Anlagen dazu schaffen und betreiben, bzw. die getrennt gesammelten Abfälle geeigneten Verwertern überlassen.
3.5. Beschaffung und Verwendung von Material, das aus Abfall hergestellt wurde und Getrenntsammlung von Abfällen (v.a. Papier) durch alle Behörden von Bezirken, Land und öffentlichen Rechtes, ebenso von Gemeinden, Städten und Schulen.
3.6. Bereitstellung finanzieller Mittel zur Verwertung aus: Einsparungen aus den Sektoren Transport und Deponie, Erhöhung der Abfallgebühren für Großmüllbesitzer, einem Fonds von Industrie und öffentlicher Hand, Pfandeinnahmen.
3.7. Rückgabe- und Verwertungsinformation in der Werbung

4. Entgiftung

“Wir haben die Geschenke falscher Götter angenommen, und wir alle haben die falschen Speisen von falschen Tellern gegessen.” (Christa Wolf)

4.1. Solange wir von der chemischen Industrie mit Giftstoffen an, auf und in Materialien und Lebensmitteln überschwemmt werden, sind Mülldeponien, Klärschlamm und Kompost für die Umwelt und Mensch gefährliche Zeitbomben.
4.2. Auch die Wiederverwertung von Abfällen wird durch den Gehalt von Giftstoffen erschwert.
4.3. Deshalb ist die Entgiftung der Produktion ein wichtiger Beitrag zur Verminderung und Verwertung von Abfällen.
4.4. Das Getrenntsammeln von Sonderabfall-Kleinmengen aus dem Hausmüll ist eine erste Maßnahme zur Entgiftung des Mülls.
4.5. In jeder Gemeinde muß daher eine ständige Sondermüllsammelstelle eingerichtet werden.
4.6. Es müssen auch Maßnahmen zur weitgehenden Entgiftung der Haus- , Industrie- und Gewerbeabwässer getroffen werden.

5. Entsorgung

“Große Zeiten hinterlassen große Schutthaufen.” (H. Hesse)

Nicht vermeidbarer oder verwertbarer Abfall muß möglichst umweltschonend beseitigt werden durch:
5.1. Die Gemeinden, Gemeindeverbände, die für dazu notwendige und geeignete Anlagen und Verfahren sorgen, ebenso für die Beseitigung von abgetragenem Boden und nicht mit Schadstoffen verunreinigtem Bauschutt. Die Anlagen und Verfahren müssen dem Stand der Technik entsprechen und vom Land genehmigt werden.
5.2. Umweltverträglichkeitsprüfungen für Abfallkonzepte, Verwertungs-, Behandlungs- und Beseitigungsanlagen.
5.3. Betreiber von Abfalldeponien müssen ein Lagerkataster anlegen, um ein Wiederauffinden abgelagerter Stoffe zu ermöglichen. Sie müssen auch in regelmäßigen Abständen die von der Beseitigungsanlage oder Deponie ausgehenden Emissionen messen Iassen uzw. durch staatliche oder staatlich anerkannte Behörden und auf eigene Kosten.

6. Altlasten und Altlastenfonds

“Tierische Reste: ein Esel, ein toter Hund, einige blutige Federn und keine Beweise.” (Erich Fried)

6.1. In Tirol gibt es rund 700 Altlasten, aufgelassene und sogenannte “wilde Deponien”, von denen in den meisten Fällen niemand mehr weiß, wo sie sich eigentlich befinden. Diese Altdeponien stellen eine Gefahr für die Umwelt dar und müssen saniert werden.
6.2. Dazu ist ein Altlastenkataster notwendig mit der Angabe von Lage, Größe und Zusammensetzung und Konzepte für Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen.
6.3. Die Kosten dafür sollen durch einen Altlastenfond abgedeckt werden, der zu je einem Drittel von Land, Gemeinden und Industrie gespeist werden soll.

7. Abfallberater/innen

“Derjenige aber lebt nach den Weisungen der Natur, der in allem, was er anstrebt oder zu vermeiden sucht, dem Rate der Vernunft folgt.” (Thomas Morus, 1516)

7.1. Gemeinden mit mehr als 7000 Einwohnern müssen Abfallberater/innen bestellen. In Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern muß Abfallberatern ein eigenes Sekretariat zur Verfügung gestellt werden. Für Gemeindeverbände sollte eine analoge Regelung gelten.
7.2. Abfallberater informieren und beraten Abfallbesitzer über Abfallvermeidung, Getrenntsammlung und Verwertung. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Inspektion und Überprüfung der Abfälle und ihrer Behandlung in Betrieben.